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Vorwürfe, weil es dir gut geht?

Kennt ihr das auch? Als Angehörige psychisch erkrankter Menschen hat man es nicht immer leicht. Trotzdem macht man weiter. Haushalt, Kinder, Job, … Ich erinnere mich gut an eine Szene, als mir mal ein Termin durchgerutscht war und ich im Stress versucht habe das zu kitten. Mein Angehöriger stand in der Tür und sagte „schön zu sehen, dass bei dir auch mal was schief geht!“. Autsch. Heute weiss ich, dass ich Vorwürfe, weil es mir gut geht, nicht hätte persönlich nehmen müssen.

Mutterrolle

Manchmal fühlte es sich auch an, wie in der Mutterrolle. Wenn meine Kinder wie kleine Giftzwerg schimpfen oder Mama doof finden, weil ich ihnen den zweiten Nachtisch nicht erlaube, kann ich mich gut abgrenzen und es nicht persönlich nehmen. Bei erwachsenen Menschen erwartet man so ein Verhalten nicht und empfindet es schnell als gemein oder verletzend. In meinem Fall war ich Partnerin und in der Zeit in der mein Angehöriger noch keine Diagnose hatten, war mein Verständnis begrenzt. Ich konnte nicht wirklich gut damit umgehen. Wahrscheinlich habe ich auch viele Vorwürfe zurückgeschossen.

Neid und Missgunst

Während der Angehörige unter seiner Erkrankung leidet, versuchen wir weiter zu machen. Ich erinner mich noch gut daran, wie froh ich immer war, zur Arbeit zu gehen und dass ich, auch durch die Kinder, immer viele Menschen um mich hatte, die mir gut getan haben. Da kam es öfters mal vor, dass ich nach einem vollen Arbeitstag abends gut gelaunt mit singenden Kindern nach Hause kam und was schlägt mir entgegen? Eine Mauer aus Neid und Missgunst.

„Müsst ihr mir demonstrativ zeigen, wie geht es euch geht, während ich es nicht schaffe das Haus zu verlassen?“ „Wie machst du das nur, immer alles so leicht zu nehmen?“ „Wenn ich dich beobachte, wie du durch die Wohnung fliegst und alle Bälle gleichzeitig in der Luft hältst, geht es mir noch schlechter“ „Du bist doch auch total überspannt, tue doch nicht immer so, als ob es dir gut geht“…

Das sind nur ein paar solcher Sätze, die sich eingebrannt haben.

Empathie, Verständnis und Verzeihen

Ich habe Zeit gebraucht um zu akzeptieren, dass es mir gut gehen darf, obwohl und während mein Angehöriger leidet. Davor lag noch eine Phase in der ich gelernt habe, zu verstehen, was in ihm vorgeht, Verständnis zu haben und zu verzeihen, was die Krankheit aus ihm macht. Dabei war und ist es nicht immer leicht zu unterscheiden, was kommt von ihm als Mensch und was wurde durch die Erkrankung „gefiltert“.

Auch mich habe ich besser kennen gelernt, meine Erwartungen hinterfragt, meine Stärken und Unzulänglichkeiten reflektiert und Selbstmitgefühl erlernt (statt Selbstmitleid) und irgendwann verstanden, dass ich trotzdem noch frei bin, meine Entscheidungen zu treffen und mein Leben zu gestalten. Ich bin nicht verantwortlich für das Glück oder Unglück eines anderen Menschen, sondern nur für mein eigenes.

Dankbarkeit

Und dafür bin ich dankbar. Heute, viereinhalb Jahre, nachdem die oben beschrieben Sätze oft gefallen sind. Mit ist heute bewusst, wie wichtig mentale Gesundheit ist. Mein Wunsch zu verstehen hat mich beruflich in eine ganz neue Richtung gelenkt und meine Erfahrung als Angehörige macht mein Leben und Arbeiten reicher.

Sprecht darüber

Rein statistisch nehmen psychische Erkrankungen, vor allem seit Corona, stark zu. Jeder vierte Erwachsene ist jährlich betroffen. Das richtige Hilfsangebot zu finden ist nicht ganz einfach – auch das gehörte zu meiner Lernerfahrung als Angehörige. Wenn du deine Situation reflektieren möchtest, lade ich dich zu einem kostenfreien Erstgespräch ein. Oder folge meiner Angehörigengruppe auf Facebook. Dort teile ich immer wieder Coaching-Übungen und Impulse. Mein Wunsch ist es, dass mentale Gesundheit Thema und Normalität wird und wir uns gegenseitig unterstützen, mitfühlend mit uns und anderen zu sein.

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