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Bei sich zu Hause sein

Ich bin wieder zurück von einer Reise nach Bad Aiblingen. Fünf Tage lang durfte ich in einer Fortbildung zum Thema Coaching-Skills bei Daniela Blickhan mit 14 lieben Menschen Bekanntes wiederholen und verknüpfen, Neues lernen, üben, mich selbst reflektieren und gemeinsam lachen. Es gab ein theoretischen Spur über Struktur im Coaching, sowie die praktischen Anwendung. Wir haben uns mit unserer Rolle und Haltung als Coach und als selbständig Arbeitende auseinander gesetzt. Zurück zu Hause kann ich heute sagen: ich bin in meiner Rolle als Coach wieder ein bischen mehr zu Hause und die Friedensforscherin in mir ist wieder geweckt worden. Das fühlt sich echt und gut an.

Wie schon bei meiner letzten Reise zum Inntal Institut, als ich lernte, die Logotherapie mit der Positiven Psychologie zu verknüpfen, ist mein Bericht persönlich geworden. Aber seht selbst:

Das Struktur-Hirn wurde gefüttert

In meiner Tätigkeit in der Flüchtlingshilfe hatte ich vier Jahre lang eine geteilte Leitungsposition. Mit meiner Kollegin hatten wir schnell eine organische Rollenverteilung etabliert: Jede konnte ihre Stärken einbringen und wir ergänzten uns. Sie war u.a. für den Flausch im Team und das Networking zuständig. Ich für Prozesse und Struktur. Wir lernten voneinander.

Auch in meiner Rolle als Coach habe ich diese zwei Seiten. Die Projektmanagerin, die Klarheit und Struktur liebt, Prozesse gern im Überblick hat, immer wieder auf Metaebene geht und prüft, ob das Gesamtbild stimmig ist. Diese Seite wurde im Seminar voll bedient, sowohl im didaktischen Aufbau, als auch inhaltlich beim Blick auf Coachingprozesse und den Ablauf von einzelnen Coaching-Sitzungen. Mein Struktur-Hirn ist gut gefüttert und ich fühle mich an meine Zeit im Studium in Frankreich erinnert, als ich die Kunst des Schreibens einer formvollendeten Dissertation erlernte.

Das Herz öffnet sich

Aber nur von Struktur lebt ein Coaching noch nicht. Da ist die Intuition, wann welche Intervention passt, in welcher Reihenfolge, in welchem Tempo und auf welcher Abstraktionsebene gearbeitet wird. Erst durch das sich-Einschwingen auf den Coachee wird ein Coaching rund. Dazu gehört das Aktive Zuhören und in Resonanz gehen, Pacing und Leading, Emotionen verbalisieren. Und für das Coaching nach Positiver Psychologie auch das positive Refraimen und das Schaffen von hirngerechten Voraussetzung für Veränderungsbereitschaft.

Und so kann ein Besucher oder ein Klagender zu einem Klient werden, der sich gehört und gefühlt fühlt. Im Ausbildungskontext hatten wir viele dieser Erfahrungen im gemeinsamen Übungscoaching. Menschen, die sich getraut haben, etwas näher an ihre Herzenswünsche heran zu treten, sie zu konkreten Zielen umzuformulieren und strahlend mit ermutigenden Glaubenssätzen weiter zu wachsen.

Das Selbst wird freigelassen

Warum es manchmal so schwer ist, sich selbst zu erlauben, ein förderliches Bild von sich zu haben? Wahrscheinlich, weil es sehr individuell und berührend ist, sich selbst zu begegnen. Ich persönlich habe an einem Thema gearbeitet und verließ das Coaching mit dem Satz: „Ich bin echt mit knalleroten Bäckchen“. Das ist ein wunderbarer Anker für mein Tun und mein Können, aber auch für das Leben meiner Werte und Stärken. Und so ist auch ein persönliches Bild zu meinem Coaching entstanden, das wieder das Bild der Ruderns nutzt.

Rudern Struktur

Rudern im Strudel des Lebens

Menschen geraten im Fluss des Lebens manchmal in Strudel und brauchen viel Kraft, um wieder raus zu kommen. In meinem Coaching lade ich Menschen dazu ein, für ein-zwei Stunden zu mir ins Ruderboot zu steigen, um die Situation und ihr Leben zu betrachten. Dort können sie zum ruhigen Pulsieren der Ruder fühlen, was in ihnen und um sie herum fließt. Beim Blick nach vorne (im Ruderboot sitzt man ja rückwärts) schauen wir auf Ressourcen, Stärken und Energiequellen jenseits des Strudels und die Menschen tanken Kraft. Vorsichtig drehen wir uns dann um, um nach vorne zu schauen: Welche Möglichkeiten ergeben sich dann? Oft tauchen erstaunlich klare Ziele auf und die ersten kleinen Schritte heraus aus dem Strudel werden sichtbar. Meine KlientInnen gehen ihren Weg selbstbestimmt und gestärkt weiter. Klar, das würden sie auch ohne Coaching, aber mit Unterstützung wird der Weg oft leichter, fokussierter und es passiert darüber hinaus persönliche Entwicklung und Wachstum, wenn die eigenen Wünsche zu Zielen werden und sich Menschen die Erlaubnis geben, sie selbst zu sein und etwas mehr zu werden, wer sie sind.

Nach konzentrierter Arbeit im Seminar war es kaum verwunderlich, dass wir am Abend ausgelassen lachend mit Tränen in den Augen Unsinn ersponnen haben. Wir haben uns gemeinsam über die Unterschiedlichkeit und Kompelmentarität von uns Menschen gefreut und ersonnen, wie eine Welt aussehen könnte, wenn die Grundhaltung des Positiven Psychologie weiter verbreitet wäre.

Rückkehr in den Alltag und die Gesellschaft

Jetzt steht die Rückkehr in den Alltag an und ich bin voller Vorfreude, meinen Klienten qualitativ, strukturell und menschlich eine noch bessere Begleitung anbieten zu können. Ich freue mich auf das Wiedersehen mit den Mit-Lernenden in meinen Supervisionsgruppen. Nächste Woche steht auch eine „Werkstatt“ mit der Karlsruher Coaching Community an, in der wir neue Formate bauen werden. Kurz: die Integration des Gelernten in Theorie und Praxis.

Ein Vortrag von der wundervollen Judith Mangelsdorf beim Resilienzkongress gekrönt meine Reise. Ich ging in zweifacher Weise in Resonanz. Zum einen haben wir im Seminar das Thema Glaubenssätze behandelt. Bei der Formulierung von stärkenden Glaubenssätzen stand bei mir „ich achte alle Menschen“. Das speist sich aus meinen siebenjährigen Erfahrung in Afrika und in der Flüchtlingsarbeit. Im Coaching für langzeitarbeitslose Menschen ist es meine unabdingbare Grundhaltung. Judith holte diesen Gedanken mit dem Grundgesetz ab: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Angenommen, wir Menschen würden das leben, was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Vielleicht ist es einen Versuch wert, das wieder in den Blick zu nehmen. Jeden Tag aufs Neue.

Der Bogen zur Friedensforschung

Die zweite Übereinstimmung lag in einem Bogen, der sich zu meinem Studium in Friedensforschung und Internationaler Politik, schließt. Judith stellte heraus, dass bei den aktuellen Demonstrationen immer wieder das „von … weg“, die Trennung dominiere. Menschen gehen auf die Straße um anzuprangern, was sie nicht wollen. Sie kreieren damit ein Feindbild – die gegen uns. In der Bürgerkriegsforschung sind es genau diese Mechanismen, die eine lange Dauer von Konflikten begünstigen. Wäre es nicht förderlicher, sich für das „Gute“ einzusetzen? Zu versuchen Menschen, die vielleicht aus Protest und Zukunftsangst rechts wählen, davon zu überzeugen, dass Werte wie Demokratie, Diversität, Rechtsstaatlichkeit und die Unantastbarkeit der menschlichen Würde erstrebenswerte, motivierende und handlungsleitende Impulse für unser Tun sind?

So habe ich in dieser Woche nicht nur mein Rollenverständnis als Coach überdacht und neue strukturelle Skills erarbeitet. Ich erlebe auch, wie die vierte Welle der Positiven Psychologie eine Brücke baut zwischen meiner akademischen Heimat, der Friedensforschung, meiner vorherigen Berufserfahrungen im Projektmanagement zu Themen der sozialen Integration und Resilienz sowie meiner heutigen Arbeit als Coach für die Gestaltung von Übergängen. Ich bin bei mir selbst zu Hause.

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