Es ist nicht alles positiv. Die Welt lebt von ihren Unterschieden, Konflikten und Kontroversen. Und so war es auch auf der Konferenz tomorrowmind in Wien am vergangenen Wochenende. Gibt es die Zukunft? Positive Psychologie für Individuen, Team oder die Gesellschaft? Kontrollverlust durch KI oder immenser Mehrwert? Vertrauen in die Menschlichkeit? Alles nur Gegenwart?
Die Zukunft wird nicht mit Vernunft erschlossen
So das Fazit von Leopold Seiler nach einem fulminanten Vortrag über das philosophische Konzept der Zukunft. Mit Biss und Humor hat er zum Mitdenken mitgerissen und ich habe mir bei jedem schlauen Gedanken gewünscht, ihn festhalten zu können. Nun funktioniert unser Spinnennetz des Wissens nunmal so, das neue Bausteine dort andocken wo schon etwas vorhanden ist und so habe ich mich besonders über die Metapher des Ruderns gefreut, die ich in ähnlichem Ansatz vor ein paar Monaten im meinem Blog beschrieben hatte.
Wenn wir nicht wissen was Zukunft ist, so bleibt das Gefühl. Es scheint der mentalen Gesundheit von Menschen zuträglich zu sein, sich die Zukunft als etwas vorzustellen, das sich gut anfühlt – entweder im Überkommen des aktuell unguten Gefühls oder in Projektion der Erinnerung an bessere Zeiten. Letztlich bleibt uns nur übrig, unser Leben im gegenwärtigen Moment im Hier und jetzt zu gestalten.
tomorrowminds in der Praxis
Aber wie wären so tolle Projekte wie PERMA-Teach oder PERMA-Lead entstanden, wenn nicht kreativen Menschen eine vage Idee davon gehabt hätten, was passiert, wenn die Positive Psychologie auf Führungspositionen Einzug hält? Enthusiastisch präsentiert Markus Ebner seine Forschung zu den Einflüssen eines positiven Führungsstils und die Verbreitung des Ansatzes in Wien. Eva Jambor und Ingrid Teufel präsentieren, wie das Konzept in leichter Sprache im Bildungswesen seinen Platz gefunden hat.
Positive Emotionen fördern, Engagement unterstützen, Beziehungen pflegen, einen sinnvollen Beitrag leisten, Erfüllung im Beruf finden – wer hätte vor ein paar Jahrzehnten gedacht, das das mal Grundpfeiler guter Führung und Unterrichts werden? Manch einer hätte geantwortet „so ein esoterischer Schmarn“.
Es braucht in Gesellschaft und Unternehmen „Energizers“, wie sie Kim Cameron nennt, die positive Dynamiken auslösen. Auf der Konferenz waren davon sehr viel zusammen gekommen um ihre Beiträge zu teilen, weiter zu vermitteln und andere zu inspirieren.
Gesellschaftliche innere Friedensforschung
Was es bedeutet, die Positive Psychologie auch für die gesellschaftliche Gestaltung der Zukunft zu nutzen erläuterte Judith Magelsdorf in ihrem ganz und gar menschlich facettenreichen Vortrag. Nach einem kurzer Schwenk zu den Sustainable Development Goals und den Inner Development Goals fragt sie, wie die wissenschaftliche Forschung der PP zu einer nachhaltigen Welt beitragen kann und sieht eine vierte Welle anrollen: eine Globalisierung der PP.
Als Politikwissenschaftlerin und Friedensforscherin, die sich von den Krisen der Welt mit den Handwerkszeug der politikwissenschaftlichen Forschung überfordert fühlte, habe ich mich der inneren Friedensforschung zugewandt und meine neue Heimat in der Positiven Psychologie gefunden. Wie wunderbar, wenn jetzt die PP zurück zur gesellschaftlichen Ebene schwingt und ich mit meinem Tun durch individuelle Coachings und Workshops einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten kann.
Ich bin sehr gespannt darauf, was in dem Feld entsteht und wie die systemische Übertragung von Konzepten aus der psychologischen Forschung auf die gesellschaftliche Ebene funktionieren wird, Stichwort posttraumatisches gesellschaftliches Wachstum.
KI gruselig oder eine Wohltat?
Am Sonntag Nachmittag warten alle gespannt auf Martin Seligman, Galionsfigur der Positiven Psychologie und Namensgeber der Konferenz durch den gleichnamigen Titel seines Buches „Tomorrowmind. Das Toolkit für mentale Stärke, Gesundheit und mehr Freude an der Arbeit„, das er zusammen mit Gabriela Rosan Kellerman kürzlich veröffentlichte.
Nachdem Joachim Becker am Vortag einen engagierten Vortrag über die Gefahren von Realitätisverlust durch KI bei der jungen Generation gehalten hat, bietet Martin Seligman den Kontrast: Eine persönliche und emotionale Präsentation der Ergebnisse, wenn die mit seinen Werken gefütterte KI KlientInnenanfragen beantwortet. Der Mensch kann sich nicht an alles erinnern, was er jemals gesagt oder geschrieben hat. Die KI schon, und so wertet Seligman die Antworten: sie seinen besser als er. Und so bleibt auch das Bild eines alten Mannes, der berechtigterweise mit Stolz auf sein Lebenswerk zurückschaut und noch nicht bereit ist, die Bühne zu verlassen.
Mich reizt die Vorstellung, das KI die Fragen unserer Zeit aus anderer Perspektive beantwortet. Könnten wir Aristoteles, Napoleon, Nieztsche oder V. Frankl fragen, wie wir unsere Welt vor dem Klimawandel retten oder mit dem Nahostkonflikt umgehen sollten? Ich wäre gespannt auf die Antworten. Und gleichzeitig bin ich froh, in einer realen Welt zu leben und auch wenn die Online-Teilnahme und die jetzt im Nachgang entstehenden Gespräche auf LinkedIn einen gewissen Realitätsverlusst darstellen, kenne ich doch viele der dahinter stehenden Menschen persönlich und weiß, dass sie echt sind.
Vertrauen in die Zukunft
Auch deshalb hat mich Daniela Blickhan mit ihrem Input über Vertrauen so sehr abgeholt: ohne das Vertrauen in unsere menschliche Fähigkeit zu unterscheiden, wem oder was wir vertrauen können, ohne den inneren Kompass, wann es wieder genug mit den Medien ist und wir unsern Feierabend mit real existierenden Menschen verbringen, wären wir der KI ausgeliefert. Aber zum Glück haben wir Menschen Verstand, Gefühl und Handlungsspielräume – Qualitäten die die KI (noch) nicht vorweisen kann.
Mein berufliches Tun ist immer dadurch geprägt gewesen, dass ich von anderen Menschen ein Vorschussvertrauen bekommen habe. Aber auch davon, dass ich mir selbst ein Vorschussvertrauen geben konnte. Nicht wissen könnend was die Zukunft bringt, haben ich in diesem Grundvertrauen die Aufgaben gefunden, die das Leben mir stellt.
Was bedeutet es fürs Coaching der Positiven Psychologie?
Herzig erfrischend war die kritische Haltung von Gunther Schmidt, der genau so war wie er ist und frei Schnauze seine Wertschätzung für die Positive Psychologie einem erfrischend kritischen Plädoyer für die Wertschätzung des Negativen entgegensetzte. Genauso wie bei Philipp Streit, der über die Gute Zukunft in Therapie und Beratung sprach, tauchte zwischen den Zeilen der homo prospektus auf, der seine Vergangenheit konstruktiv nutzt und von einer Zukunftserwartung angezogen wird, um seinen Gegenwart gelingend zu gestalten.
tomorrowmind Fazit
Ich bin froh, dabei gewesen zu sein. Die Zukunft wirkt noch attraktiver, wenn man feststellt, dass man gemeinsam mit anderen Menschen an einer Sache arbeitet. Wenn du dich für eine Sache engagierst, die für dich sinnvoll erscheint und du damit anderen Menschen Energie für ihr Tun geben kannst und du selbst darin Erfüllung findest, bist du in deinem Hier und Jetzt nicht weit vom „richtigen“ Ort entfernt. Ich mache weiter.
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